Durchschaubares Wahlkampfmanöver
Autor: Stefan Tilgner
Bündnis 90/Die Grünen wollen die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Private Krankenversicherung (PKV) in einer „solidarisch finanzierten Bürgerversicherung zusammenführen, in der jede*r unabhängig vom Einkommen die Versorgung bekommt, die er oder sie braucht.“ So steht’s in dem insgesamt siebenseitigen Kapitel des Bundestagswahlprogramms zu Gesundheit und Pflege, das die Partei auf ihrem digitalen Parteitag Anfang Juni verabschiedet hat. Die Forderung ist genauso wenig neu und überraschend wie die Begründung, wonach gesetzlich Versicherte länger auf Termine bei Fachärzten warteten, und viele privat Versicherte sich die hohen Prämien nicht mehr leisten könnten. Nur wenige profitierten „von dieser Zwei-Klassen-Medizin, zum Nachteil vieler“, kritisieren die Grünen.
Für deutlich mehr Aufsehen sorgte ein Positionspapier der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen von Mitte April, demzufolge die Bürgerversicherung weiterhin das Ziel bleibe, dabei aber die PKV keineswegs abschafft werden soll „Die Private Krankenversicherung besteht fort“, heißt es dort. Eine Bürgerversicherung unter Beibehaltung des Prinzips der Dualität, klingt im ersten Moment vielleicht beruhigend oder möglicherweise gar unideologisch offen, erweist sich aber beim genaueren Hinschauen als absurdes, wahltaktisches Ablenkungsmanöver für die eigene oft privat versicherte Klientel.
„Gebildete Beamtin aus dem Südwesten“, titelte die Süddeutsche Zeitung am Tag nach der Bundestagswahl 2017, um die Wählerschaft der Grünen zu charakterisieren. „Sie punkten mit 16 Prozent Wähleranteil klar bei den Beamten“, zitiert die Online-Ausgabe vom 25. September Wahlanalysen von infratest dimap. Das ist fast doppelt so hoch wie das damalige Wahlergebnis von 8,9 Prozent. Wer jetzt sogar ins Kanzleramt will, kann nur wenig Interesse daran haben, wichtige Wählerschichten zu vergrätzen.
Am Ende allerdings hat das bündnis-grüne Konzept doch die Abschaffung der PKV zur Folge und mutmaßlich von vorneherein zum Ziel. Die Pläne sehen vor, dass privat Versicherte zunächst wie gesetzlich Versicherte einkommensabhängige Beiträge in den Gesundheitsfonds einzahlen. Aus diesem erhalten sie eine durchschnittliche Pauschale zurück, um sich dann für eine Kasse oder eine private Versicherung zu entscheiden. Für den Gesundheitsfonds und das Konzept einer Bürgerversicherung würde sich dieses „Geschäft“ jedoch nur lohnen, wenn die Einzahlungen der privat Versicherten höher sind als die Auszahlungen. Viele privat Versicherte müssten jedoch – das gilt insbesondere für die Angestellten – den Höchstbetrag in den Fonds einzahlen, weil ihr Verdienst logischerweise oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt. Der GKV-Systematik folgend würden sie dann aber eine deutlich niedrigere Prämie aus dem Fonds zurückerhalten.
Nach diesem Minusgeschäft müssten sie dann noch einmal zusätzliches Geld drauflegen, um ihren realen PKV-Beitrag zu zahlen, der schon allein durch den Aufbau des Vorsorgekapitals für die höheren Gesundheitskosten im Alter entsprechend höher sein wird. Privat Versicherte zahlen also nach den Plänen der Grünen doppelt: in die GKV und die PKV. Das führt das Konzept letztlich ad absurdum und offenbart dessen eigentliche Stoßrichtung: Die Abschaffung der PKV durch die Hintertür.